Großer Bruder am „Einstein“ –
Der Berliner Buchautor und Polizist Fadi Saad besuchte das Kehler Gymnasium

Fadi Saad hat in seinem Leben einige Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Als Mitglied einer Gang war die Polizei einer seiner größten Feinde in der Jugend. Heute ist der 45-jährige Deutsch-Palästinenser operativer Brennpunktermittler. Dazwischen liegt ein langer Weg, mit Wendungen und Stationen, die Fadi Saad damals sicher nicht erwartet hätte. Im Einstein-Gymnasium sprach er an zwei Vormittagen und einem Abend über seinen besonderen Werdegang, vom kriminellen Jugendlichen zum Sozialarbeiter und Quartiersmanager in Neukölln. Vom Mitglied der „Araber Boys 21“, der zum Wochenendarrest in einer Strafanstalt verurteilt wurde, zum Botschafter für Integration und Chancengleichheit, der im Élysée-Palast der Bundeskanzlerin die Hand schüttelte. Bei den Zehntklässler*innen und Schüler*innen der Jahrgangsstufe 1 schaffte Fadi Saad mit seiner Mischung aus Lesung und lockerem Gespräch schnell Vertrauen. Ohne Umschweife machte er ihnen deutlich, dass er viele Fragen stellen würde. Und er legte Regeln dazu fest: „Wenn ihr wegguckt, sehe ich euch trotzdem!“ Bei Antworten wollte er ein „weil“ hören und er ließ sich duzen und duzte auch selbst: „Außer hier ist ein Prinz oder eine Königin unter euch!“

Fadi Saad sprach über sich und zugleich über die Perspektive mancher anwesender Schüler*innen, die in unterschiedlichen Kulturen aufwachsen, über Erfahrungen von Diskriminierung und fehlendes Verständnis der Gesellschaft. Obwohl er in Berlin geboren und aufgewachsen ist, wurde er schon früh gefragt: „Wo kommst du her?“ Und auf die Antwort, dass er Deutscher sei, wurde schnell die Frage nachgeschoben: „Aber wo kommen deine Eltern her?“ Deutschsein, das ist immer noch für manche etwas sehr Homogenes, das einen Menschen mit dem Namen „Fadi Saad“ ausschließt. Wie bei so vielen seiner Kindheitsfreunde stammen Fadi Saads Eltern aus Palästina und kamen aus dem Libanon nach Deutschland. Mit einzelnen Passagen aus seinen Büchern ging Saad auf die Schwierigkeiten seiner Jugend ein, auf eine Kultur festgelegt zu werden: „Wir haben stattdessen gelernt, unsere eigene Kultur zu entwickeln.“ In seinem Buch bezeichnet Saad diese Mischung aus deutschen und arabischen Einflüssen als „Deurabisch“. Einflüsse, die sich auch in der Jugendsprache durch den Gebrauch arabischer oder türkischer Wörter ausdrückten (z.B. „Yalla“, „Walla“, „Lan“), deren ursprüngliche Bedeutung vielen Nutzern gar nicht klar sein dürfte: „‚Tschüsch‘ kommt von den türkischen Bauern, die ‚tschüsch‘ zu ihrem Esel sagen, wenn er stehen bleiben soll.“

Fadi Saad will in seinen Vorträgen an Schulen für das scheinbar Fremde sensibilisieren: „Ausländer“, „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Araber“ – verallgemeinernde Bezeichnungen, die oft nur negative Assoziationen wecken. Mit Fragen ging er der Bedeutung der Wörter nach und holte Vorurteile ans Licht: „Wie viele arabische Staaten gibt es?“ Nicht nur mit Blick auf Religionen hielt er fest: „Schade – immer wird von Unterschieden gesprochen, nicht von Gemeinsamkeiten.“ Sichtlich Spaß bereitete es Fadi Saad aber auch, über kulturelle Eigenheiten zu sprechen, z.B. das Fluchen der Mütter in arabischer Sprache. Engagiert nahm er sich ebenso Themen vor, die vor allem seine Arbeit in der Kriminalprävention und als Botschafter für Zivilcourage bestimmt haben und ihm aus der eigenen Jugend vertraut sind: Mobbing, Waffenbesitz, Gewalt, Mutproben, Dominanzgehabe und falsche Frauenbilder. Die eigenen Mütter und der Eindruck, dass diese beleidigt würden, rechtfertigten zwar schnell Gewalt für manchen: „Aber die Mütter leiden stattdessen viel durch das Schicksal der eigenen Familie.“ Das Leid und die Angst der Mütter erlebt Fadi Saad heute selbst als Polizist bei seinen Einsätzen, in denen „harte Jungs“ auf Lebensgröße zusammenschrumpfen.

Spürbar war die ganze Veranstaltung die Verbindung, die Fadi Saad mit seinen jugendlichen Zuhörer*innen eingehen konnte. Authentisch und unterhaltsam unterstrich er, weshalb er auch als „großer Bruder von Neukölln“ bezeichnet wurde. Einer eben, von dem Jüngere Verständnis, Anerkennung und Grenzen erhalten können. Initiiert hatte seinen Besuch am „Einstein“ Elternbeiratsvorsitzende Nadja Hörterer.

(Hbr)