Gang nach Karlsruhe – „Einstein“-Schüler*innen besuchen das Bundesverfassungsgericht

Wer sich in seinen Grundrechten verletzt fühlt und alle vorherigen Rechtsinstanzen ausgeschöpft hat, der kann als letztes Mittel „nach Karlsruhe gehen“, also den Gang vor das Bundesverfassungsgericht antreten: Genau das tat der Leistungskurs Gemeinschaftskunde (J2) des Einstein-Gymnasiums vergangene Woche. Nicht jedoch als Beschwerdeführer bzw. um Anklage zu erheben, sondern um sich über das höchste Gericht und eines der fünf obersten Staatsorgane in Deutschland vor Ort zu informieren. Unspektakulär wirkte es von außen auf die Besuchergruppe, der noch die Dimensionen des Berliner Regierungsviertels vor Augen standen – etwas Enttäuschung lag in der Luft mit Blick auf einen einzelnen Polizeiwagen und keine besondere Absperrung. Dabei liegt vielleicht gerade in der wenig pompösen Bauweise des Gerichtsgebäudes ein Hinweis auf seine Bürgernähe. Bereits die großflächigen Glasfassaden der quadratischen Bauteile sind markant und können demokratische Transparenz symbolisieren. Ein Hinweis auf die Zugehörigkeit des Gerichts auf politischer Ebene zeigte sich bei der Sicherheitskontrolle am Einlass: Hier ist nicht die Landes-, sondern die Bundespolizei zuständig. Dies war auch bitter nötig, fiel doch gleich bei einer Schülerin ein Messer auf, das noch (angeblich!) vom Kuchenverkauf stammte.

Im sogenannten Sitzungsaalgebäude startete dann die durch eine Amtsrätin geführte Tour vor der Ahnengalerie im Foyer. Die Reihe der schwarz-weißen Porträts an der Wand zeigt die ehemaligen Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts, darunter auch den späteren Bundespräsidenten Roman Herzog. Die männliche Dominanz in der Besetzung des Gerichts in vergangenen Jahrzehnten war unverkennbar. Mittlerweile hat sich das Verhältnis hin zu mehr Parität verschoben. Dies lenkte den Blick auf den Aufbau und die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts: Es besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richter*innen, die eine Amtszeit von 12 Jahren besitzen. Die Unmöglichkeit einer Wiederwahl soll ebenso für ihre Unabhängigkeit sorgen wie ihre Wahl mit einer 2/3-Mehrheit durch Bundestag oder Bundesrat. Brandaktuell und nicht unbegründet mit dem Blick auf die Entwicklung in anderen Ländern ist die Debatte, wie die Unabhängigkeit des Gerichts gestärkt werden kann. Denn bereits eine einfache parlamentarische Mehrheit könnte die Gewaltenteilung z.B. durch eine Neuregelung der Richterbesetzung angreifen. Mit Spannung wird auch vor Ort erwartet, wann die AfD die Nominierung eines eigenen Kandidaten ins Spiel bringt.

Für die „Einstein“-Gruppe ging es nun ein Stockwerk höher. In einem Empfangssaal leuchteten den Gästen die Porträts ehemaliger Gerichtspräsidenten entgegen. Auffällig war der Wandel der roten Roben, auf den die Führung hinwies: In den ersten Jahren trugen die Richter*innen noch die gleichen Roben wie die Richter*innen des Bundesgerichtshofs, das sich ebenfalls in Karlsruhe befindet. Die Eigenständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zeigte sich aber im Lauf der Zeit nicht nur in eigenen Roben, sondern in seinem Selbstverständnis: Es betrachtete sich als weisungsungebunden von der Politik bzw. dem Bundesjustizministerium. Bis heute ist seine alleinige Entscheidungsgrundlage die Verfassung: So haben die „Hüter des Grundgesetzes“ immer wieder nicht nur Gesetze als verfassungswidrig verworfen, sondern auch Regierungen seit Adenauer mit ihrem Handeln verärgert. Man denke nur an die aktuelle Entscheidung zum Nachtragshaushalt, die die Ampel unter Zugzwang gesetzt hat. Ein kurzer Videofilm in einem benachbarten Presseraum verdeutlichte die Arbeitsweise des Gerichts. Hierbei lag ein besonderer Fokus auf der Bearbeitung von Verfassungsbeschwerden, der häufigsten Verfahrensart, den jedes Jahr gehen rund 5000 Beschwerden in Karlsruhe ein. Diese werden nach Prüfung ihrer Zulässigkeit einer genauen Begutachtung unterzogen, bei der ein/e Richter/in als Berichterstatter/in ein Votum vorbereitet. In Kammern aus drei Richter*innen wird der Großteil der Verfahren auf schriftlichem Weg abgearbeitet, das Urteil muss aber einstimmig ausfallen. Bei der Frage der Verfassungskonformität von Gesetzen oder wenn grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen entschieden werden müssen, befasst sich in jedem Fall einer der beiden Senate mit dem Verfahren. Hier können auch öffentliche Anhörungen stattfinden, die besonders in den Medien das Bundesverfassungsgericht präsent halten.

Den Verhandlungsort in diesen Fällen suchten die „Einstein“-Schüler*innen als Nächstes auf: Im ehrwürdigen Sitzungssaal mit dem hölzernen Bundesadler-Relief wurden die unterschiedlichen Verfahrensarten nochmals aufgegriffen: Die Überprüfung des Wahlrechts durch eine sogenannte „abstrakte Normenkontrolle“ durch die Opposition kann ebenso Gegenstand sein wie eine individuelle Verfassungsbeschwerde. Nur ein geringer Prozentsatz dieser Beschwerden ist erfolgreich – diese können jedoch die Rechte aller Bürger*innen bahnbrechend verändern, wie etwa die Entscheidung zur Zulässigkeit der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“ zeigt. Sichtbar wird zugleich in den Urteilen auch der Wandel der Rechtsprechung (und damit einhergehend der Gesellschaft).

Ein Gang ins Bibliotheksgebäude (mit einer kleinen Ausstellung) schloss den informativen Rundgang schließlich ab: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – die einfachen Sätze des Grundgesetzes mit Leben zu füllen, ist bis heute Auftrag des höchsten deutschen Gerichts.

Für die Einsteiner*innen ging die Exkursion danach ins benachbarte Schloss: Die Sonderausstellung „Die 80er – sie sind wieder da!“ im Badischen Museum thematisierte zwar auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts (wie das zur Volkszählung im Jahr 1983). Beliebt waren bei der Besuchergruppe aber vor allem alle Exponate rund um die Populärkultur. Ein authentischer Kiosk und ein Wohn-/Kinderzimmer wurden ebenso interessiert begutachtet wie Mode und Musik des Jahrzehnts. Intensiv wurden vor allem auch das Brettspiel „Trivial Pursuit“ („In welchem kleinen afrikanischen Land befindet sich der Togo-See?“) und der „Game Boy“-Klassiker „Super Mario“ (teilweise unter Anleitung eines Zeitzeugen) getestet. Nach einem stärkenden Zwischenstopp im Studententreff „Oxford Pub“ ging es danach mit U-Bahn und Regionalexpress wieder Richtung Kehl. Das Wetter blieb sich den ganzen Tag treu: Es war von morgens bis abends regnerisch, kalt und windig, was der Stimmung aber nicht allzu sehr schadete.

(Hbr)